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Wenn mit KUNST IM HOTEL eine neue Ausstellung bei uns einzieht, dann zieht auch immer eine neue Welt in unser Haus. Es verwandelt sich auf eigentümliche Weise. Derzeit haben wir das „Draußen“ im Haus. Denn mit den Arbeiten von Jenny Kaya Schneider ist aktuell der Wald zu uns ins Haus gezogen.
In ihren Ölgemälden wachsen fein verästelte Bäume und Sträucher, knorriges Wurzelwerk und grüne Flechten. Häufig ist es Winter, oder es ist noch früh im Jahr. Zwar liegt kein Schnee, aber die Bäume tragen keine Blätter, so dass man die feinen Äste und Zweige gut erkennt. Das Licht wirkt meist eher kühl.Für Jenny Kaya Schneider spielt die Natur eine zentrale Rolle.
Sie malt und zeichnet nicht nur gern Tiere in der freien Natur, sondern sie selbst ist gern draußen, im Wald. Und dort findet sie auch oft die Inspiration für ihre Bilder. Etwa eine Wurzel oder einen knorrigen Baum, einen verschlungener Pfad, der ins Dickicht führt. Oder aber es ist der freie Blick über eine endlose Landschaft. Die einzelnen Elemente für ihre Motive skizziert sie vor Ort oder fotografiert sie, um sie später in einem Bild umzusetzen. Genauer: sie setzt sie dort ein, wo sie passen.
…Und noch mehr Tiere
Die braungrau-grünen Welten der Künstlerin werden häufig von Tieren bewohnt: Von Blau-schwarz glänzenden Raben oder einer gravitätisch schreitenden Elster. Oder einer behäbigen Kröte, einem Marder, einem Geißbock. Gar einem gewichtigen Auerochsen, der in seiner Urtümlichkeit fast ein wenig „aus der Zeit gefallen“ scheint. Sie alle finden sich sehr selbstverständlich in ihrer Umgebung ein. Gemalt mit großer Detailfreude, kontrollierter Präzision und mit feinem Pinsel. Allerdings dominieren sie ihren Umraum nicht in jeden Fall zwingend als ein zentrales Motiv. Bisweilen wirkt ihre Anwesenheit fast beiläufig. In jedem Fall ist sie aber immer sehr selbstverständlich und entspannt.
Jenny Kaya Schneider malt keine spektakulären Szenen oder Ansichten. Es wirkt vielmehr alltäglich. Selbst wenn da eine Kröte vor dem Kellerfenster sitzt, oder ein Marder auf den verrosteten Überbleibseln einer alten technischen Anlage.
Die Umgebung und das Tier sind dabei stets von einander getrennte Elemente. Es ist nie ein bereits „fertiger“ Gesamteindruck, den sie in ihrer Malerei wiedergibt. Vielmehr ist es ihre Komposition aus einem Raum beziehungsweise einer Umgebung und einem Tier, das sie im Anschluss darin einbettet. Allerdings findet sich nicht unbedingt in jeder Arbeit auch ein Tier. Bisweilen sind der Künstlerin die knorrigen Wurzeln und fein verästelten Stämme, oder auch die Reste einer Mauer schon genug. „Da dann obendrein noch ein Tier, das wäre irgendwie zu viel“, entscheidet sie. Und dann bleibt das Bild eben ohne Tier.
Menschenleere „lost places“
Menschen finden sich hingegen in Jenny Kaya Schneiders Bildern gar nicht. Es sind vielmehr die Spuren von Menschen, die dort längst nicht mehr sind. Reste und Überbleibsel von verfallenen Mauern, Zäunen und Gebäuden. Als Zeugen einer bedeutungslos gewordenen Zivilisation werden sie von der Natur allmählich wieder umrankt, überwuchert und eingehüllt. Da findet sich auch ein Graffiti an einer Säule, das wohl irgendwann irgendwer dort hinterlassen hat, als das Haus schon längst nicht mehr bewohnt war. Ein Schienenstrang, der ins Leere führt und auf dem wohl schon seit langem kein Zug mehr gefahren ist. Denn die Gleise liegen längst nicht mehr beieinander.
Die Atmosphäre erinnert an die seltsame Aura von verlassenen Geländen. „Lost places“, die bei Jenny Kaya Schneider tatsächlich eine reale Vorlage haben können. Denn die Kölnerin bindet das eine oder andere Detail solcher aufgelassenen Liegenschaften in ihrer Nachbarschaft durchaus in ihre Bilder ein. Wie etwa die Villa Oppenheim, ein heruntergekommenes Gutshaus in Köln-Fühlingen, oder das Fort IX in Köln, eine alte preussische Befestigungsanlage.
Konkret verorten lassen Jenny Kaya Schneiders Bilder sich allerdings nicht. Ganz im Gegenteil scheinen sie völlig entrückt aus Raum und Zeit. Ihre Waldwelten scheinen vielmehr in ein sepiafarbenes oder nebelhaft-milchiges Licht getaucht zu sein: Aschig-erdige Grün-, Grau- und Brauntöne und feine, sorgfältige Pinselstriche unterstreichen die ruhige und entspannte, fast kontemplative Atmosphäre.
Bilder und Text
Bereits während des Studiums hat Kaya Jenny Schneider als Illustratorin gearbeitet. Und dies ist auch heute ein beruflicher Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit. Sie setzt Geschichten und Gedichte in passende Bilder um. Sie gibt den Begebenheiten und Figuren aus Kinderbüchern ein Gesicht. Egal ob Lyrik, Fantasy oder Bücher für kleine Leserinnen und Leser, es geht für die Künstlerin immer darum, den besonderen „Geist der Geschichte“ zu erfassen. Das geschriebenen Worte soll adäquat als ein stimmiges Bild umgesetzt werden, in Abstimmung mit dem Autor oder der Autorin und dem Verlag. Das kann ganz intuitiv und einfach entstehen, bisweilen ist es ein höchst aufwändiger und umständlicher Prozess. Vor allem, wenn es gilt, nicht allein dem geschriebenen Wort, sondern auch der Bildvorstellung des Autors oder der Autorin gerecht zu werden. Denn ebenso wie Geschichten entstehen auch die Bilder dazu im Kopf, und sie sind immer sehr persönlich.
Auch Jenny Kaya Schneiders freie Malerei, die ganz unabhängig von konkreten Textbezügen entsteht und – anders als eine Illustration – keiner Textvorlage folgen muss , lässt vielfach die Vermutung zu, es könne sich vielleicht um eine illustrierte Szene aus einer Geschichte handeln. Viele ihrer Arbeiten wirken wie Momentaufnahmen aus einer erzählten Handlung, die ein Davor und Danach hat. Sie könnten durchaus in Bilder umgewandelte erzählte Szenen sein.
Bilder, die Geschichten erzählen könnten
Auf den ersten Blick wirken viele der Motive von Jenny Kaya Schneider eigentümlich alltäglich, fast beiläufig. Ein knorriger Baumstumpf, ein Strauch, ein paar Vögel. Ein Geißbock, ein Marder, eine Kröte oder eine Elster. In irgendeiner Landschaft, die teils noch Spuren einer menschlichen Anwesenheit zeigt. An der jeweiligen Szenerie ist auf den ersten Blick eigentlich nichts Besonderes, aber ihre Bilder geben – vielleicht gerade in ihrer unspektakulären Anmutung – durchaus kleine Rätsel auf. Könnte da nicht vielleicht doch irgendeine Geschichte hinter diesen Motiven verborgen sein?
Tatsächlich kann die Betrachtung von Jenny Kaya Schneiders Malerei dazu anregen, sich selbst eine Geschichte dazu zu überlegen und zu erzählen. Zumindest lässt sich mutmaßen, ob wohl gar eine ganze Geschichte hinter der dargestellten Szene steckt. Zumal etliche ihrer Tiermotive durchaus bedeutsame „Verwandte“ in der Fabel-, Mythen- und Märchenwelt haben: Denn Raben, Elstern, Kröten oder Wölfe gehören in diesen literarischen Genres zur klassischen tierischen Besetzung.
Assoziative, narrative anmutende Bildwelten
Der besondere, illustrativ anmutende „Erzählcharakter“ von Jenny Kaya Schneiders Arbeit kommt in einer ganzen Reihe von Arbeiten deutlich zum Ausdruck.
Zum Beispiel in „Yggdrasil“ (2018). Es ist eine Abschlussarbeit von Jenny Kaya Schneider. Sie hatte diese Arbeit in 2019, ein Jahr nach ihrem Abschlussjahr an der Düsseldorfer Kunstakademie, auch im Museum K21 ausgestellt („Planet 58 – Absolvent*Innen der Kunstakademie Düsseldorf 2018“).
Der Bildtitel „Yggsdrasil“ verweist – anders als bei den übrigen Bildern, die stets sehr neutral und deskriptiv betitelt sind (etwa „Marder“, „Kröte“ oder „Elster“) – auf die Weltesche, die in der nordischen Mythologie den Kosmos verkörpert. Die Arbeit zeigt einen verschlungenen, knorrigen, blattlosen Baum, auf dem sich eine Schar Raben eingefunden hat. Die Tiere sind nicht einmal sonderlich dominant im Bild und sie harmonieren als Gruppe perfekt mit der Gestalt des Baumes. Wenn man sie – als seien sie Punkte – gedanklich mit einer Linie verbindet, scheint ihre Anordnung den Baum gar zu spiegeln, und betont damit seine markante Form.
Eine Art „Halo“, der einen hellen, ausgesparten Rahmen als „Schärfekante“ um die Konturen der einzelnen Vögel legt, bewirkt, dass sie aus dem verästelten Gewirr der Zweige hervortreten. Hugin und Munin heißen in der nordischen Mythologie die beiden Raben Odins, der auch den Beinamen „Rabengott“ trägt. Odins Raben sind zu zweit. Jenny Kaya Schneider hat gleich sieben Raben gemalt, und dies ist durchaus auch eine magische Zahl.
Mich selbst haben die Raben in Jenny Kaya Schneiders Arbeit übrigens assoziativ spontan an „Krabat“ (1971) von Otfried Preußler denken lassen, einen Jugendromanklassiker auf Basis einer alten sorbischen Sage. Hier geht es um Menschen, die von einem bösen Zauberer mit dunkler Magie in Raben verwandelt worden sind. Die Rabenschar aus „Krabat“ könnte für mich durchaus so ausgesehen haben, wie in der minutiös gemalten Arbeit der Künstlerin.
„Fast märchenhaft“
Bisweilen haben ihre Szenerien etwas Verwunschenes und Entrücktes. „Fast märchenhaft“, so hat der Maler und Grafiker Siegfried Anzinger, ihr Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, ihre Arbeiten genannt. Und tatsächlich liegt diese Assoziation nahe, zumal Märchen, Mythen, Fabeln und Sagen tatsächlich eine weitere wichtige Inspirationsquelle für die Künstlerin sind. Was die Künstlerin an diesen narrativen Stoffen so schätzt? Sie sind nicht abhängig von konkreten Zeiten und Räumen, sondern vielmehr allgemein gültig und universell. Sie selbst formuliert auf ihrer Website (www.jennyschneidermalerin.jimdo.free.com) dazu:
„Die mythologischen Erzählungen dienten und dienen vielen Malern zur Inspiration, sind zeitlos, sie vermitteln Werte und Ideale mit denen man sich bis heute identifizieren oder konfrontiert sehen kann. Zudem sind sie zuweilen von einen herrlichen Absurdität.“
Jenny Kaya Schneiders Bildsituationen wirken in der Tat oft ein wenig „verzaubert“, „versponnen“ und märchenhaft, auch wenn die Künstlerin derlei Assoziationen in keinem Fall vordergründig anlegt. Sie malt keine Fabelwesen und Märchenfiguren oder impliziert gar verzauberte oder magische Welten, und eine derartige Verknüpfung ist nicht zwingend. Sie malt vielmehr mutmaßlich Vertrautes, das in der Bildbetrachtung mit ebenso vertrauten Erinnerungen und Eindrücken verknüpft wird. Der Impuls, gar eine kleine Geschichte dazu zu assoziieren, ist lediglich eine mögliche denkbare Lesart einer Szene, die Jenny Kaya Schneider in ihren Arbeiten verbildlicht. Die gleichsam visuell erzählten Geschichten oder erinnerten Märchen, Mythen und Fabeln dazu vergegenwärtigen sich spontan mit der Bildbetrachtung. Sie entstehen in der Phantasie der Betrachtenden, auf Grundlage persönlicher und individueller Assoziationen oder Erinnerungen.
Mythen, Sagen und Märchen
In der Tat inspirieren Jenny Kaya Schneiders narrativ anmutende Arbeiten dazu, sich mit ihrer Malerei in den Kosmos von erinnerten Mythen und Märchen zu begeben. Da ist etwa ihr Bild von einem Geißbock (dessen reale Vorlage übrigens das tierische Maskottchen „Hennes“ des 1. FC Köln gewesen ist). Er steht in einer Höhle, deren Dunkelheit durch die helle Lichtung betont wird, die sich im Hintergrund eröffnet. Eigentlich passt er gar nicht so richtig in den Wald, eher ins Gebirge, und man fragt sich unwillkürlich, wie er wohl dorthin gelangt ist, und warum.
Nun, in der Märchen-, Mythen- und Sagenwelt sind derlei unvermutete Begebenheiten gar nicht so selten, und der menschliche Geist sucht vermutlich gern Antworten. Ein Geißbock und eine Höhle mitten im Wald. Was es wohl damit auf sich hat? „Das erinnert mich irgendwie an Pans Labyrinth“, meint denn auch ein ebenso film- wie kunstbegeisterter Freund, der sich vor Kurzem die Ausstellung bei uns im Haus angeschaut hat.
Und so könnte auch die mächtige Kröte, die bei Jenny Kaya Schneider sehr selbstverständlich auf dem Sims eines Kellerfensters sitzt, der einen oder anderen „Klassiker“ der Märchenliteratur entsprungen sein, auch wenn sie gar keine goldene Krone trägt. Mit ihrem abgewinkelten Fuß wirkt sie äußerst entspannt, fast gelassen. Ihre Körperhaltung und ihr Blick zumindest laden dazu ein, ihr ein menschliches Gefühl zuzuschreiben. Sie scheint gut getarnt, verschmilzt in ihrer grün-bräunlichen Farbigkeit mit dem bemoosten Mauerwerk und fällt gar nicht unbedingt als Erstes ins Auge. Zumal das Bild kompositorisch nicht zuletzt von einem mächtigen, höchst verwinkelten Rohrgebilde bestimmt wird, das entlang des Gemäuers verläuft.
Fein beobachtet
Jenny Kaya Schneider ist eine aufmerksame Beobachterin. Die kleinen Einzelheiten sind ihr wichtig: dünne Ästchen und Zweige, feine Härchen, einzelne Steinchen am Boden. Das Detail bestimmt nicht allein in ihrer Ölmalerei, sondern auch in ihren kleinformatigen Tuschezeichnungen und Scratchings. Auch in diesen kleinen Arbeiten sind vielfach Tiere das zentrale Motiv, allerdings ohne jeglichen Umraum oder formale Einbettung in eine Bildsituation. Sie sind vielmehr gänzlich freigestellt. Es können ganz vertraute Hunde und Katzen sein, aber auch Füchse oder eine Schildkröte, Affen, Geparden und Pandas.
Filigrane Insekten, Käfer und Libellen, eine Ameise oder Biene, ein Nachtfalter oder eine Gottesanbeterin sind die Motive in den Kratzbildern von Jenny Kaya Schneider. Die Insekten aus dieser Serie sind ebenfalls sehr detailgetreu und äußerst differenziert, was an naturwissenschaftliche Abbildungen in zoologischen Fachbüchern erinnert. Ihre komplexen Chitinskelette und Panzer, aber auch ihre feinen Fühler und hauchzarten Flügel kommen in den Scratchings besonders ausdrucksstark zur Geltung. Sie schweben als sorgfältig konturierte Auskratzungen auf tiefschwarzem Grund. Und weil unter diesem tiefschwarzen Grund eine vielfarbig schillernder, glitzernder Untergrund liegt, der erst durch das Auskratzen der feinen Konturlinien zum Vorschein kommt, wirkt dies im Vorübergehen fast wie eine leichte, flimmernde Bewegung.
Ausstellung bis November 2021.