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6. April 2024Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Wege in die Abstraktion
Im K 20 kommen – erstmalig – zwei ikonische Kunstschaffende der klassischen westlichen Moderne zusammen, die vordem selten im Rahmen einer solchen umfangreichen Doppelausstellung gezeigt worden sind. Sie beide haben – auf ihre jeweils ganz eigene Weise – der Abstraktion ihren Weg bereitet. Im Düsseldorfer K 20 sind nun etwa 120 Werke zu sehen, die sich miteinander in einen Dialog begeben. Zu Lebzeiten der Künstler war das beileibe nicht so. Hilma af Klint (1862-1944) und Wassily Kandinsky (1866-1944) haben zwar zur selben Zeit in Europa gelebt und gearbeitet. Allerdings an unterschiedlichen Orten, der eine in Deutschland und die andere in Schweden, und – zumindest damals – mit einem ganz unterschiedlichen Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit.
Weltberühmt der eine. Kaum bemerkt die andere
Der eine stand bereits zu seinen Lebzeiten auf der ganz großen Bühne. Wassily Kandinsky hatte in München den „Blauen Reiter“ mitbegründet. Er unterrichtete am berühmten Bauhaus und hat mit seiner kunsttheoretischen Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ eine der einflussreichsten programmatischen Schriften des 20. Jahrhunderts veröffentlicht.
Die andere hingegen fand kaum ein Publikum für sich und ihre Kunst. Ihr umfangreiches ungegenständliches Werk blieb weitestgehend im Atelier und wurde selten gezeigt. Und ebenso ungelesen blieben ihre tausende von unveröffentlichten Manuskriptseiten, auf denen Hilma af Klint ihre eigentümliche Kunst erklärt. Und wo die Werke des einen nach seinem Tod auf Welttournee gegangen sind, sind die Arbeiten der anderen erst einmal bei ihrem Neffen auf dem Speicher verschwunden. Hilma af Klint selbst hatte verfügt, dass sie erst zwanzig Jahre nach ihrem Tod überhaupt wieder gezeigt werden dürfen.
Vertraute Anblicke. Und ganz neue Einsichten
Der Kanon der klassischen Moderne ist in Düsseldorf mit zentralen Werken vertreten, und Kandinsky ist – gleichsam als ein zentraler „Begründer“ der Abstraktion – dem Düsseldorfer Kunstpublikum seit vielen Jahrzehnten ein vertrauter Anblick. Das K20 besitzt gleich vier zentrale Werke Kandinskys aus seinen wichtigsten Schaffensphasen. Die „Komposition IV“ (1911), „Durchgehender Strich“ (1923), „Im Blau“ (1925) und „Komposition X“ (1939).
Hilma af Klint ist erst im 21. Jahrhundert, also gewissermaßen erst „vor Kurzem“ zu einer bekannten Größe in der internationalen Kunstwelt geworden. Spätestens, als das New Yorker Guggenheim Museum ihr 2018 eine viel beachtete Retrospektive widmete, ist auch die Schwedin in den „Olymp“ der Kunstgeschichte aufgestiegen, zumal sie unter den Kunstschaffenden der Gegenwart längst als eine zentrale Inspirationsquelle gilt. Nun ist sie auch in Düsseldorf „live“ zu sehen.
„Same same. But different“
Die Düsseldorfer Schau macht Ähnlichkeiten und Unterschiede deutlich. Beide Kunstschaffende haben eine klassische akademische Ausbildung absolviert, bevor sie zur abstrakten Malerei übergingen. Beide haben ihre zenralen Werke erst im Alter von 45 Jahren erschaffen. 1911 verfasste Kandinsky seine Abhandlung „Über das Geistige in der Kunst“. Bereits 1907 entwickelte Hilma af Klint ihren Werkzyklus „Die Zehn Größten“, sowie weitere abstrakte Serien, darunter das Ende von „Urchaos“. Beide befassten sich intensiv mit philosophischen und theosophischen Überlegungen ihrer Zeit, mit Religion und Spiritismus ebenso sowie zentralen naturwissenschaftlichen Neuentdeckungen, etwa in der Physik und Chemie. Sie wussten voneinander und von ihrer Arbeit, wobei sie sich vermutlich nie persönlich begegnet sind. Beide interessierten sich für ganz ähnliche Motive und Ideen: So etwa die Legende vom Heiligen Georg, der im Almanach des Blauen Reiter abgebildet war, und bei af Klint unter anderem als ihr Alter Ego in ihren Notizbüchern in Erscheinung tritt.
Was die „Publikation“ und Verbreitung ihrer Arbeit angeht, waren die beiden höchst unterschiedlich: Der eine hatte ein über die Jahre gut ausgebildetes Netzwerk von Künstlergruppen, Museen, Institutionen, Verlagen, Galerien, Sammlerinnen und Sammlern. Die andere plante einen Tempel, der alle ihre Werke vereinen sollte. Darüber hinaus verstand sie sich als Medium und ließ ihre Bilder unsigniert. Beide wollten mit der Abstraktion jedoch nicht nur einen neuen Malstil schaffen, sondern sie verstanden ihre Arbeit als den Beginn einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung, zu der die Kunst den Weg wies.
„Erster!“ Die Kunst ist kein Wettlauf.
Die vergleichsweise späte „Entdeckung“ der Hilma af Klint durch das internationale Publikum hat – unter anderem – auch die Debatte entfacht, ob Wassily Kandinsky tatsächlich der „Erste“ war, mit dem sich die abstrakte Kunst begründet, zumal Hilma af Klint – belegbar – mit ihren Arbeiten eher „am Start“ war. Allerdings eher versteckt. Tatsächlich galt der – nicht zuletzt wortgewaltige – Kandinsky vordem als Begründer der abstrakten Kunst in Praxis und (!) Theorie. Aber die Kunst ist kein Wettlauf und keine „Leistungsschau“, und vermutlich geht es also auch gar nicht darum, wer als erster „Erster!“ ruft. Unbestritten ist der monumentale Beitrag des einen, und ebenso unbestritten ist heute auch die visionäre Kraft der anderen. Beide vertreten maßgebliche ästhetische Positionen und sind im K20 in einer sehenswerten dialogischen Werkschau vereint. Und dazu gibt es einen hörenswerten Audioguide, gesprochen von Anna Schudt und Moritz Führmann.
K 20. Düsseldorf. Hilma af Klint und Wassily Kandinsky. Träume von der Zukunft.
16.03. — 11.08.2024