Kunstpunkte 2020. Düsseldorfer offene Ateliers. 12. / 13. 09. Und 19. / 20.09.2020
9. September 2020Kunst fast ohne Betrachter. Wenn die Party einfach nicht stattfinden kann
7. November 2020Ist Thomas Ruff gar (k)ein Fotograf?
Nun, die Frage stimmt so sicher nicht. Allerdings bezeichnet Thomas Ruff sich selbst gar nicht als „Fotokünstler“, sondern umfassender als Künstler. Und das trifft es auch besser. Denn der internationale Künstler Thomas Ruff arbeitet in der Regel nicht selbst mit der Kamera, oder zumindest nur noch sehr selten, sondern er bearbeitet vielmehr Bilder aller Art, die andere bereits gemacht haben. Sein Quellenmaterial kann alles mögliche sein. Und ein vordem „künstlerische Zweck“ der Vorlage ist nicht zwingend erforderlich. Ganz im Gegenteil.
Presse Fotos, der Fundus großer Bildagenturen, Schnappschüsse, dokumentatorische Bilder von Raumsonden. Aber auch chinesische Propaganda Inszenierungen, Bilder zur Diagnostik von Herzpatienten, Industriefotografie aus den 30er Jahren. Bilder aus Zeitungen und Magazinen, oder einfach Beliebiges aus den Bilderfluten des Internet. Von A wie „allgemein“, B wie „banal“, über „K“ wie Katastrophe und P wie „Pornografie“ bis hin zu Z wie „Zweckfrei“. Seine fotografischen Fundstücke sind lediglich der Ausgangspunkt, seine Kunst entsteht in einer höchst komplexen Bilderzeugung am Computer, die weit über die gängigen Methoden der Bildbearbeitung hinausgehen kann.
Bildbearbeitung als Methode der Hinterfragung
Tatsächlich klingt das Schlagwort der „Bildbearbeitung“ fast zu dröge, um den Aufwand zu beschreiben, den Thomas Ruff betreibt, wenn er an das Ausgangsfotomaterial geht. Von A wie „Abwedeln“ bis Z wie „Zoom“ eröffnet sich ein ganzes Universum. Und das Endresultat kann höchst unterschiedlich ausfallen. Oft ist das Ergebnis eine visuelle (und fühlbare!) Distanzierung vom vordem Abgebildeten. Da wirken etwa übergroße einzelne Pixel wie eigentümliche Leerstellen im Bild, hinterfragen die Präsenz des ursprünglich „ins Bild Gesetzten“. Propagandistischer Pathos wie etwa bei den Mao Portraits oder die mehr als explizite Nacktheit wie bei den „Nudes“? Die vordem fraglos eindeutige, teils bewusst manipulative Bildsprache der Vorlagen funktioniert dann plötzlich nicht mehr, so als könne man sie gar nicht mehr richtig „auslesen“. Da löst sich das Bild von der Botschaft, zumindest der ursprünglich beabsichtigten.
Thomas Ruff arbeitet eben nicht im Sinne einer Appropriation oder kulturellen Aneignung. Ein Ergebnis seiner Arbeit ist vielmehr die bewusste Distanzierung und Loslösung von der Vorlage oder Bildquelle, gewissermaßen als eine Desillusionierung und „Sichtbar-Machung“ dieser ursprünglichen Kontextualisierung.
“Ein Foto ist ja nicht nur ein Foto, sondern eine Behauptung“ (Thomas Ruff)
Thomas Ruff nähert sich der Welt über ihre Oberfläche an, und begreift sie als ein Konstrukt, das in einem (historischen) Kontext steht. Überdeutlich etwa bei der zerklüfteten Oberfläche des Mars, wie sie von einer entsprechenden Raumsonde abgebildet wird. Mit seinen vielfältigen Techniken der digitalen Bildbearbeitung erforscht Thomas Ruff eben diese „Behauptung“ und löst damit genau diesen vermeintlich sicheren Zusammenhang auf. Bei Thomas Ruff wird daraus ein 3 D Bild, das sich mithilfe einer ebensolchen Brille erkunden lässt. So sieht es also aus auf dem Mars. Oder nicht.
Für seine „flower.s“ hat Thomas Ruff übrigens doch selbst fotografiert. Die Blumen aus seinem Garten waren hier die visuelle Vorlage. Und das Ruff’sche Ergebnis? Das Gegenteil! Und zwar im Wortsinn. Denn das kleine „s“ bezieht sich auf die Solarisation. Ein Effekt, der zu einer Technik wurde, die zu einer Umkehrung von Licht- und Dunkelbereichen führt. Aber wo etwa Man Ray oder Lee Miller in der analogen Dunkelkammer zweitbelichtet haben und den Zufall nicht ganz ausklammern konnten, das erarbeitet Thomas Ruff heute in einer Art digitalem Nachbau. Minutiös, und ganz kontrolliert.
Die Kunst von Thomas Ruff ist auch…. eine Frage der Technik
Zur Thomas Ruff Werkschau im K20 gibt es ein umfangreiches Begleitheft in gedruckter Form (kostenfrei mit dem Eintrittsticket). Es liefert in gut lesbarer Form viele sehr hilfreichen, auch technische Informationen, die verdeutlichen, dass Thomas Ruff sich eben nicht lediglich per „Copy Paste“ und Retuschier Tricks aus der „Photoshop“ Zauberkiste aus einem universellen Bilderfundus bedient.
Der im Internet verfügbare „k+“ Digital Guide zur Ausstellung liefert als Hintergrund zur Einordnung ein übersichtliches Kompendium wichtiger technischer Aspekte für die besondere Kunst von Thomas Ruff und vermittelt damit zugleich auch einen Einblick in die Geschichte der Fotografie.
Eine kleine Randnotiz und gewissermaßen sehr persönliche Assoziation von mir.
Ich habe beim Rundgang auch an Thomas Knoll denken müssen. Den US-amerikanischen Software Entwickler, der zusammen mit seinem Bruder John Knoll in den späten 80er Jahren das Bildbearbeitungsprogramm Photoshop entwickelt hat. Denn er selbst kommt auch aus der Fotografie. Familienbedingt und mit viel Begeisterung für dieses Feld. Als Kind half er dem Vater bei der Entwicklung von Farb- und Schwarz-Weiß Filmen in der Dunkelkammer. Er lernte dort, Farbe und Kontrast auszubalancieren, er war computerbegeistert. Und es störte ihn einfach, dass sein Apple Mac damals die Grauschattierungen einfach nicht anzeigen konnte. Irgendwann wurde aus diesem „Anstoß“ ein weltbekanntes Programm, das eine gesamte Sparte nachhaltig verändert hat. Und die Veränderlichkeit von Bildern ohnehin.
Die Kunstsammlung NRW zeigt bis zum 07.02.2021 eine sehr umfangreiche Werkschau im K20. Eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Arbeiten von Thomas Ruff, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind. Zu betrachten gibt es 13 Serien aus den 90er Jahren bis hin zu der ganz neuen Reihe „Tableaux chinois“, die im K20 erstmalig ausgestellt wird.