Gerhard Richter. Kunstpalast Düsseldorf. 05.09.24 – 02.02.25
14. Dezember 2024„Of trash and treasures“
So hat Laura Flöter ihre Werkschau in den Räumen der Grünen Fraktion des NRW Landtages genannt. „Of trash and treasures“. Eine griffige Alliteration, die man sich gut merken kann. „Von Müll und Schätzen“. Was könnte gegensätzlicher sein? Zumindest auf den ersten Blick. Laura Flöter zeigt uns, dass das gar kein Widerspruch ist, sondern vielmehr – wie so vieles im Leben – eine Frage der Perspektive. Denn die Künstlerin verwandelt in ihrer Arbeit diesen vermeintlichen „Müll“ in etwas Neues.
Laura Flöter bezeichnet ihre Kunst als „plastische Malerei“. Tatsächlich „malt“ die Künstlerin dreidimensional, indem sie gebrauchte Materialien aller Art zu überbordenden Material-Collagen zusammenfügt.
Sie arbeitet konsequent und so gut wie ausschließlich mit ausrangierten Materialien. Mit gebrauchten, oft (wieder)gefundenen Objekten. Allerlei „Krimskrams“ eben, der vielleicht irgendwann für irgendwen eine Bedeutung hatte, aber dann ausrangiert wurde und seinen Weg in Laura Flöters Atelier findet, oft als Geschenk von Material-Spenderinnen und Spendern, die zuhause aufgeräumt haben.
Es sind gebrauchte Dinge aller Art. Das können Drähte, Schrauben, Schlüssel sein. Oder Murmeln, Federn, Spiegelscherben und Spielkarten. Muscheln und Schneckenhäuser. Kronkorken oder die Knochen von Spareribs. Leere Parfum-Fläschchen, Perlen und einzelne Ohrringe. Mensch-Ärger-Dich-nicht-Figuren oder Mühle-Steine. Kleines Spielzeug aus Plastik: Dinosaurier und Zebras, Lego-Figürchen, die Schuhe von Barbie oder gar ein „magisches Einhorn“. Winzige Figürchen, die irgendwann einmal die Landschaft einer Modell-Eisenbahn bewohnt haben. Ein Bund Schlüssel, zu denen es kein Schloss mehr gibt.
Material-Collagen: „Gebrauchtes“ wird „neu“
„Collage“ kommt von „kleben“ (französisch „coller“), und tatsächlich muss Laura Flöters Klebstoff „ganze Arbeit“ leisten, um die Anhäufung all’ der Materialien im Bild zu halten.
Eine Fülle von winzigen Dingen liegt in mehreren Schichten auf dem Untergrund, und bleibt bisweilen nicht einmal im Rahmen, sondern flutet an der einen oder anderen Ecke über den definierten Rand. Manchmal sind über alte Leinwände, Flicken von neueren aufgenäht, wobei man die „alten“ noch durch das eine oder andere Loch erahnen kann. Auch sorgsam gesetzte Farbe ist bei Laura Flöter noch mit „im Spiel“. Sie kann dumpf und grau sein, aber auch kraft-volle bunte, teils grelle Akzente setzen.
In ihren Arbeiten bleiben die Dinge „bewahrt“, allerdings nicht mehr in ihrer ursprünglichen Funktion, sondern in einem neuen Bildzusammenhang. Für Laura Flöter hat aber auch das eigentlich „Bewahrende“, im Wortsinn „Nachhaltige“ eine zentrale Bedeutung. Denn es steht zum einem Konsumgetriebenen, zum anderen aber auch der Vergänglichkeit der materiellen Welt entgegen. Sie selbst sagt:
„Das Arbeiten mit gebrauchten Gegenständen folgt der Logik einer Welt, in der Ressourcen immer schneller immer knapper werden.“
Raum für eigene „Geschichten“
Laura Flöter würdigt die Dinge, indem sie sie neu inszeniert und in unerwartete neue Zusammenhänge setzt. Was im Übrigen vielleicht auch den einen oder anderen „Material-Spender“ verblüfft, wenn er oder sie das eine oder andere ausgemusterte Spielzeug in neuem Kontext erlebt.
Laura Flöter verdichtet in ihren Arbeiten Dinge aller Art in ein dicht gewebtes, spannungsvolles, bisweilen abstrus anmutendes Netz von Kuriositäten. Die Welten von Laura Flöter sind im Wortsinn „erfunden“, oft mysteriös. Vielleicht sogar ein wenig düster? Nur, wenn Sie das in ihrem Kopf zulassen. In jedem Fall erzeugen Sie alle Ihre eigenen Bilder und Geschichten, eben weil wir „Leerstellen“ kaum aushalten. Denn wir hätten gern ein paar Antworten. Warum hat Barbie ihre Schuhe zurückgelassen? Wer hat hier gerade noch Karten gespielt? Wer wird mit dem kleinen Glöckchen herbeigerufen? Was schließen all’ die Schlüssel auf? Oder zu?
Ganz offenbar entstehen die Geschichten in den Augen derer, die die Bilder betrachten. Denn wir können gar nicht anders als das, was wir in Bildern sehen, in unsere eigenen Geschichten zu übersetzen. Wir entwickeln in unserer Vorstellung ein Narrativ, um dem vermeintlichen Chaos eine Struktur zu geben.
Das führt – bedingt durch die unterschiedlichen persönlichen Assoziationen, Gedanken und Erinnerungen – bisweilen zu fast skurrilen Situationen, wenn Menschen ihre Bilder betrachten. Da gibt es Erwachsene, die es doch ein wenig irritiert, dass da – unmittelbar neben Barbies Schuhen – ein paar menschliche Backenzähne in einer unwirtlich anmutenden Landschaft aus Draht und Nägeln liegen, und die sich Sorgen machen. Was ist da wohl Schreckliches passiert? Und dann sind da Kinder, die sich darüber freuen, dass die kopflose Barbie genauso aussieht wie die eigene geliebte Puppe in ihrem Kinderzimmer.
Laura Flöters Welten bieten viel Raum für Spekulation. Die Künstlerin lässt bei der Bildbetrachtung jegliche assoziative Freiheit. Und in aller Konsequenz sind Benennungen für die Künstlerin eigentlich gar nicht so bedeutsam, zumindest wenn es sich um Bildtitel handelt. Ihre Arbeiten signiert sie vielmehr schlicht mit Nadel und Faden. Mit groben Stichen stehen hier ihr Namenskürzel und das Entstehungsdatum in einer Ecke. Und das ist dann auch gleichzeitig der Titel der Arbeit. Darüber wird die Arbeit dann eindeutig definiert. Das ist neutral und objektiv.
Im Kaninchenbau
Für Ausstellungen gibt sie ihren Arbeiten aber dann doch bisweilen „sprechende“ Namen, und die sind dann auch sehr assoziativ: „Der Schlüsselmeister“, „Das rote Schloss“, „Pasch“ oder „Grenzland“. Oder gar eine ganze Serie namens „Wicked Wonderland“ oder „Wonderland Lost“.
Ich glaube, kaum einer denkt hier nicht an „Alice in Wonderland“. Lewis Carrols Roman (1865) gilt zu Recht als eine literarische Ikone und steht auf vielen Listen mit „Büchern, die man gelesen haben muss“. Die Verstrickungen von Logik, Unlogik und unauflöslichen Paradoxien in Alice‘ Abenteuern im Wunderland bieten bis heute eine Fülle von künstlerischen Inspirationen. In Li-teratur, Musik, Film und bildender Kunst.
Alice folgt dem sprechenden weißen Kaninchen in den verwinkelten Bau und gerät in eine wunderliche Welt mit absonderlichen Figuren, in der Absurditäten und Widersprüche ihre ganz eigene neue Logik ergeben. Freundlich ist diese Welt tatsächlich nicht, aber immer höchst unerwartet. Konsequent vielleicht nur in der Unmöglichkeit, sich mit einer einzigen Interpretation „abschließen“ zu lassen.
Laura Flöters Arbeiten sind auch so ein „Wonderland“: Überbordend, eklektisch, voller Geheimnisse. Detailreich, und kaum auf den ersten Blick zu erfassen.
Ihr geht es nicht um das neutrale Abbild „an sich“ oder um die Nachahmung der Natur, sondern vielmehr darum, das jeweils eigene, innere „Wesen“ ihrer Wirklichkeit fühlbar zu machen. Sie erzählt nicht von der vermeintlichen Banalität des Alltags oder einer materiell verankerten, äußeren Realität, sondern vielmehr von komplexen, inneren Welten. Die mögen paradiesisch schön, idyllisch und vertraut wirken, machtvoll und erhaben, rätselhaft oder beunruhigend. Vielleicht sogar abgründig. In jedem Fall sind sie voller Energie und höchst persönlich.
Zum Ende doch ein Verweis auf die Kunstgeschichte: Die Romantik
Zeitgenössische Kunst muss ihren Platz in den Zusammenhängen der Kunstgeschichte erst finden. Und so soll es hier auch nicht um die Verortung von aktuellen Arbeiten im „großen Ganzen“ gehen. Aber dieser abschließende Hinweis auf die Kunstgeschichte sei erlaubt: Es ist ein Geheimnis hinter den Arbeiten von Laura, eine Sehnsucht nach dem Unausgesprochenen und Un-ergründlichen, die man durchaus „romantisch“ nennen mag.
Und wer jetzt bei dem Stichwort „romantisch“ vielleicht mit den Augen rollen mag …. und an den vielzitierten „Röhrenden Hirsch“ auf der Waldlichtung denkt… Dieses Klischee wird dem Begriff „Romantik“ in keiner Weise gerecht. Tatsächlich hat keine andere Epoche der deutschen Geistesgeschichte so viele Missverständnisse provoziert wie die Romantik. „Entrümpeln“ wir also diesen Begriff vom Zuckerguss der Alltagssprache, die den „romantischen Geist“ oft verkürzt auf das vordergründig Sentimentale, Schwärmerische und eine bloße süßliche „Stimmung“.
Denn die Romantik ist nicht nur paradiesisch und schön, sie umfasst auch das Dunkle und Subversive von Entgrenzungserlebnissen. Da gibt es eine durchaus poetisierte Welt, in der alles „Zeichen“ oder eine komplexe „Chiffre“ sein kann (Novalis, Gebrüdern Schlegel). Oder wirklich düstere Entwürfe von unheimlichen Gegenwelten (E. T. A. Hoffmann), beunruhigend visionäre Traumbilder (Johann Heinrich Füssli), und symbolisch aufgeladene Landschaften (Caspar David Friedrich).
Von Caspar David Friedrich (dem (!) Maler der Romantik schlechthin!) stammt der berühmte – und vielfach zitierte Satz:
„Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht.“
Die meisten, die dieses Zitat gern anführen, hören an dieser Stelle auf. Dabei geht es sehr aufschlussreich weiter. Denn Caspar David Friedrich führt weiter aus: „Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet.“
Das ist bei Laura Flöter nicht der Fall: Keine Spanischen Wände! Ganz im Gegenteil. Die Kunst von Laura Flöter ist höchst lebendig. Viel Vergnügen!
Laura Flöter: OF TRASH AND TREASURES. Ausstellung im NRW Landtag. Bis 30.01.2025. Öffentliche Ausstellung, persönliche Anmeldung nötig.