In unserem Projekt „KUNST IM HOTEL“ geben wir einem Künstler oder einer Künstlerin unseren Raum für eine umfangreiche Werkschau außerhalb des Ateliers. Wenn es irgend geht, gibt es aber – parallel zur Ausstellung – auch immer einen Atelierbesuch, über den wir in unserem Blog auf unserer Seite berichten.
Das ist aktuell leider etwas anders. Zwischen uns und dem Künstler Hans Binn liegen nicht nur über 1.000 Kilometer Entfernung, sondern auch sämtliche Reisebeschränkungen und Unwägbarkeiten, die das Corona Virus so mit sich bringt.
Kurzum, der Künstler und seine Kunst sitzen in der Bretagne fest, und wir hier im Rheinland. Für die Ausstellung bei uns im Haus gibt es keine Bildlieferung mitsamt Künstler, keine gemeinsame Hängung oder ausführlichere persönliche Begegnung, und schon gar keinen Atelierbesuch.
Zugegeben: anders als etwa bei Köln, Düsseldorf, Krefeld oder Wuppertal würde ein solcher Atelierbesuch aller Voraussicht nach schon an der „Entfernungshürde“ scheitern. Über 1.000 Kilometer sind….etliche Kilometer zu weit. Aber….wozu gibt es denn das Telefon? Ein echter Klassiker der Kommunikation auf Distanz. Wir sind zu einem kleinen „Telefon Interview“ verabredet.
Der Künstler ist guter Dinge und freut sich. Das Wetter in der Bretagne ist nebliger geworden, und verregnet. Aber in seinem Atelier regnet es jetzt nicht mehr rein, denn das Dach ist nun endlich neu gedeckt. Zeit genug gab es ja in den letzten Wochen und Monaten dafür, ebenso wie für den schönen Garten. Allerbeste Aussichten also für ein entspanntes Arbeiten.
Hans Binn verbringt jetzt sehr viel Zeit im Atelier, vielleicht noch mehr als sonst. Über vierzig neue Arbeiten sind allein in diesem Jahr entstanden. Allerdings kann er sie derzeit nicht zeigen. Die derzeitigen Umstände fordern ihren Tribut, und das heißt auch, keine Ausstellungen. Nicht einmal Atelierbesuche in kleinstem Rahmen sind bei ihm derzeit in der Bretagne möglich.
Kurzum, die derzeitigen Umstände bieten nicht ganz so viele Aktivitäten außer Haus, oder gar Reisen. Ursprünglich war für jetzt eine längere Reise ins Rheinland geplant, mit Familienbesuch und gleich zwei Ausstellungseröffnungen. In Düsseldorf und hier bei uns, in Meerbusch. Aber, verschoben ist nicht aufgehoben. Man wird sehen.
Hans Binn ist im Rheinland verwurzelt, aber die Bretagne ist seit über dreissig Jahren sein „Sehnsuchtsort“ und inzwischen seine Heimat geworden. Hier lebt er seit 2011 mit seiner Frau Brigitte in einem alten Haus, das die beiden selbst liebevoll und mit viel Sorgfalt restauriert haben. Als sie das Haus irgendwann auf einer ihrer Reisen entdeckt hatten, war es wohl Liebe auf den ersten Blick. Zu dem Häuschen und dem kleinen Dorf, mitten im Herzen der Bretagne.
Eine sehr überschaubare Siedlung, mit nur vier Häusern. Und eine atemberaubend schöne Landschaft. Hier findet Hans Binn auch seine Motive: Wald, Heckenlandschaften, versteckte Schluchten, das weite Meer, die felsige Küste, und der endlose Himmel, der ebenso azurblau leuchtet wie das Meer.
Ursprünglich war es bei Hans Binn eigentlich die Liebe zur „grünen Insel“ Irland, der Landschaft, den Menschen und ihrer Kultur und Geschichte. Häufig war er dort auf Reisen, und 1978 hatte er fast ein ganzes Jahr dort verbracht. Nun ist die Bretagne das Zuhause geworden.
Vielleicht gibt es ja sogar eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten oder gar Parallelen zwischen diesen beiden Welten. Auch in der Bretagne ist Hans Binn von zahlreichen Relikten der keltischen Geschichte umgeben, und mit Megalithen, Menhiren und Dolmen finden sich hier überdies die Zeugnisse von noch älteren Kulturen. Und diese frühe Geschichte mit all ihren Artefakten interessiert ihn, nicht zuletzt als Ausdruck einer uralten Geschichte, die sich noch heute in Symbolen und Zeichen zeigt, und die in der Musik und in der Landschaft lebendig bleibt. So war er auch lange Mitglied der bretonischen Künstlergruppe „Speret Kelt“ (=Celtic Spirit), und nimmt diese Tradition auch als Inspiration für seine Bilder, mit denen er „Geschichten ohne Worte“ erzählen will.
Hans Binn hat ein Gespür für das Hand-Werkliche, das im Wortsinn Handgemachte von künstlerischer Tätigkeit. So lag etwa auch die Arbeit in einer Düsseldorfer Kunstgießerei auf seinem Weg. Der Gießerei übrigens, in der seinerzeit auch der Bildhauer Bert Gerresheim seine Plastiken fertigen ließ. Otto Pankok, Gerresheims Lehrer an der Düsseldorfer Kunst-Akademie, das ist auch einer der Künstler, denen Binn sich nahe fühlt. Nicht allein sein künstlerischer Ausdruck, sondern auch sein Humanismus. Dass er etwa die Nicht-Sichtbaren und Ausgestoßenen einer Gesellschaft im Wortsinn ins Bild gesetzt hat.
Binn reflektiert umfangreiches (kunst)geschichtliches Wissen auch in seinem Werk. Seine Auseinandersetzung mit dem Holzschnitt ist nicht zuletzt auch politisch verortet, aber teils auch seine motivische Auswahl.. So führt er etwa als ein Beispiel sein Trommler Motiv an, und zitiert als inhaltliche Grundlage Heinrich Heine: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht“. Die Referenz ist bei Binn aber durchaus aktuell, und so trägt seine Trommlerin von 2019 eine Gelbweste. Die Inspiration durch die klassische Moderne mit ihrem gegenständlichen – in Teilen aber auch aufgelösten, abstrakteren – Expressionismus ist in Binn Werk auch durchaus formal spürbar.
Die Malerei nimmt bei Hans Binn inzwischen einen immer größeren Raum in seiner künstlerischen Arbeit ein. Die erste Inspiration und vielleicht „Initialzündung“ für Hans Binns künstlerische Begeisterung war aber tatsächlich der traditionelle Holzschnitt als Buchillustration. Ganz konkret: Franz Masereels Illustrationen für de Costers Till Ulenspiegel, die Hans Binn irgendwann als Buch geschenkt bekommen hatte.
Die Auseinandersetzung mit dem Holzschnitt als Technik beschränkt sich für Binn nicht allein auf die künstlerischen Möglichkeiten, sondern vielmehr auch auf die politisch-gesellschaftliche Relevanz in der Geschichte. Die eigentliche Kulturtechnik ist sehr alt, schon die alten Chinesen kannten sie. In Europa begann die Ausbreitung etwa um 1400, mit dem Aufbau einer umfassenden Papierindustrie. Diese neuen Möglichkeiten der Vervielfachung und einfachen Verbreitung von Information über den Holzschnitt waren ganz entscheidend für seine Entwicklung als ein maßgebliches pädagogisches und politisches Medium, eben als ein Massenkommunikationsmittel mit immenser Durchsetzungskraft.
Die alte, fast schon archaische Technik des Holzschnitts nimmt in Hans Binns Arbeit immer noch einen wichtigen Platz ein: Kontrastscharfes, wuchtiges Schwarz und Weiss. Graustufen gibt es bei Binn nicht. Bisweilen allerdings durchaus eine Farbe, wenn er etwa beschließt, den Himmel oder das Meer – gegen das konturierende Schwarz – doch einfach mal in einem hellen Blau zu drucken. Oder auch ein wenig dazu zu malen.
Hans Binns Holzschnitte wirken nachdrücklich, sehr kräftig. Zerklüftete Landschaften sind bei ihm zu sehen, aber auch Figuren. Bei uns zeigt Binn eine kleine Auswahl an Frauenporträts, als Malerei, aber eben auch als Holzschnitt.
Und bei diesen Porträts kombiniert Hans Binn die formale Strenge des Holzschnitts mit einem unerwarteten Augenzwinkern. Da ist zum Beispiel eine Frau zu sehen, die hält einen Hummer in der Hand. „Hummersnot“ heißt diese Arbeit. Sie blickt mit ihren großen Augen zur Seite, und ….lächelt kaum merklich. Was sie wohl denken mag? Dieses „Hummersnot“ Motiv ist übrigens gleich zweifach umgesetzt: als farbintensive Malerei und radikal fokussierter Holzschnitt.
Oder aber der Holzschnitt „Hummereske Situation“. Da ist eine andere Frau, deren Blick sich in einem prominenten Monokel zu bündeln scheint. Wieder mit einem Hummer, der diesmal aber über ihrem prägnanten Kopf schwebt. Die „Zwei“ hingegen sind ein Doppelporträt. Zwei mondän wirkende Damen mit 20er Jahre Bubikopf und feinem schwarzen Schleier. Sie schauen einander in aller Eleganz… eben nicht an. Eine sehr ausgewogene, fein beobachtete Komposition.
Die Bretagne gibt Hans Binn Ruhe, entspannt den Geist und die Seele. Fast schon idyllisch, so scheint es auf den ersten Eindruck. Und diese innere Gelassenheit ist spürbar im Gespräch.
Aber das Beschauliche „an sich“ ist absolut nicht Binns Thema, sondern eher die ständige Neuerfindung, die Hinterfragung und Variation seiner Kunst. Malerei, Holzschnitt, Collage, aber auch Zeichnung und Cartoon. Auch Lyrik hat er schon illustriert. Sicher gibt es auch bei ihm einen „gesicherten“ Katalog, wiederkehrende Motive und Figuren, sowie „sein“ technisches Handwerkszeug und formale Gestaltungsmerkmale.
All dies ist sehr verläßlich und steht wohl durchaus für die Handschrift seiner Arbeit, die sich aber wie eine Reise entwickelt. Und diese künstlerische Reise bleibt spannend. Alles in Bewegung und Wandel. Was wohl als nächstes noch so entsteht? Vielleicht….können wir ja irgendwann auch einen Blick auf die 2020er Arbeiten werfen. Wir werden sehen.